Buchprojekt 2024

Einstieg in mein drittes Buchprojekt

„Tief Luft holen …“ – diese mahnenden und auffordernden Worte meiner im August 2021 verstorbenen 93-jährigen Mutter aus meinen Kinderjahren habe ich bis heute nicht vergessen. Sie galten immer und immer wieder meinem Stottern, das einsetzte, als ich drei Jahre alt geworden war. An diese frühkindlichen Jahre fehlen mir die Erinnerungen, die fangen erst an sich zu bewegen, als ich 1955 eingeschult wurde.

Im Spätsommer des von der Corona-Pandemie so dominierten Ausnahmejahres 2020 begann mein so genannter zweiter Ruhestand: nach über 20 intensiv erlebten Jahren, in denen ich mich seit 1999 mit kreativem Fleiß und konsequent dem künstlerischen Umgang mit Holz gewidmet hatte, war es Zeit für mich aufzuhören. Mein im März 2019 aufgelegtes zweites Kunstbuch „Unerschöpflicher Eigen-Sinn“ bietet auf diese zwei Jahrzehnte einer unermüdlichen Holzpassion einen umfassenden Rückblick. Meine Internetseite bleibt als Online-Werkschau meiner künstlerischen Holz-Zeit bestehen und wird mir fortan darüber hinaus die Möglichkeit bieten, hier auch neue Ausblicke, Ideen und Projekte jenseits vom Holz präsentieren zu können.

Nach meinem Holzzeit-Ende im Frühherbst 2020 taten die ruhigeren Tagesabläufe gut. Ideen für neue Vorhaben, parallel zum vermehrten Lesen, wurden wach und gewannen an Konturen. Ein Projekt stand und steht ganz vorne an: ein persönliches Buch über meine lebenslange Not mit dem Sprechen und die Freude am Sprechen und an der Sprache, eine Art Lebensbericht, ein Mix von sachlichen Texten, Erinnerungen und autobiografischen Notizen über alles, was mich je in meinem Leben bis heute rund um meine Sprechstörung geplagt, geängstigt und umgetrieben hat, verzagt sein und hat aufbegehren und unternehmen lassen. Seit einem Jahr beschäftige ich mich inzwischen vorrangig erst einmal mit umfassenden Recherchen im Internet, dem Aufspüren von Textstellen in meinem Literaturbestand und dem Nachsehen in eigenen Unterlagen. Für alles lasse ich mir Zeit, fürs Schreiben, fürs Nachdenken, fürs Zusammenführen und -fügen.

Am 26. Oktober 2020 meldete das SWR1-Radio, dass am Vortag für alle überraschend der SPD-Politiker Thomas Oppermann mit 66 Jahren gestorben war. Diese Nachricht ließ mich innehalten: wie viel Zeit bleibt einem eigentlich noch? Ein paar Tage später, am 31. Oktober 2020, las ich in der Rhein-Neckar-Zeitung einen Bericht über den Kölner Melaten-Friedhof und die Schlussgedanken vom Karnevalspräsidenten und Bestatter Christoph Kuckelkorn: „Es gibt jeden Tag nur einmal. Man kann nicht den Mittwoch dieser Woche nächsten Mittwoch nachholen. Denn man weiß gar nicht, ob es den noch geben wird.“

Seither und nach dem Verlust nun beider Eltern fühle ich mich doch sehr motiviert, mein ganz und gar persönliches Buch-Projekt konsequent anzugehen, aber dennoch ohne Hast hinzubekommen. Kein öffentliches Outen als Stotterer treibt mich an, die mich kennen wissen ohnehin mehr oder weniger darüber, sondern ein Reflektieren und Nachsinnen im letzten Lebensdrittel darüber, wie verworren und voller Holz- und Umwege ein, mein Leben auf Grund dieser letztlich nicht weichen wollender Behinderung war – und ist.

So viele verflixte Wort- und Silbenanfänge und so viele Konsonanten und Vokale waren für das stotternde Kind und für den stotternden Jugendlichen immer aufs Neue eine schier unüberwindbare Sprechhürde. Der erwachsene, lebenserfahrene, älter gewordene Kaum-noch-Stotterer, Gelassenheit und Entspanntheit zumeist vorausgesetzt, hat es im Rückblick in seinem Werdegang einigermaßen hinbekommen, trotz der so vielen Ängste, der ungezählten Verzichte, der Zeiten des Schämens, des Selbstquälens, der Selbstzweifel und des Haderns zu bestehen und, nach handwerklicher Lehre und zwei Studiengängen, beruflich letztlich als Berufsschullehrer und dann auch künstlerisch erfolgreich zu sein.

Der 22. Oktober ist alljährlich der Welttag des Stotterns. Eigentlich wollte ich es schaffen, was ich mir inhaltlich alles mit diesem Buch vornehme, rechtzeitig zum 22. Oktober 2022 fertig zu werden. Das werde ich nach Lage der Dinge allerdings nicht schaffen. Stattdessen setze ich mir nun den Oktober 2024 als Zielmarke – mit dann 75 möchte ich mich in dem Jahr mit dem bis dahin hoffentlich aufgelegten Buch selbst beschenken können …

Franz Musiol
Eberbach, im Dezember 2021